Fachkräfte

Das eigene Geschlecht reflektieren

Den Blick zurückwerfen

Während es bei dem Umgang mit Gefühlen und Gedanken im weitesten Sinne um vorurteilsbewussten Umgang mit trans* und nicht-binären Kindern und Jugendlichen geht, setzt sich dieser Abschnitt mit einer methodischen Herangehensweise auseinander. Was prägt mein eigenes Verständnis von Geschlecht und wie wirkt sich das auf meine Haltung gegenüber trans* und nichtbinären Menschen aus? Es kann hilfreich sein, den Blick zurückzuwerfen, und zwar auf die eigene Geschlechtsidentität. Über die Genderkompetenz hinaus, kann es helfen sich vor Augen zu führen, was die eigene Geschlechtsidentität eigentlich ist und wie wir diese wahrnehmen und einordnen.

Kritisches Cis-Sein

»Kaum eine andere Kategorie ist so stark internalisiert wie die Geschlechtskategorie, aus der Zuweisung des Geschlechts nach der Geburt resultiert der ausgewählte Name, die Kleidung, die Redensart, die Bewegung, das Auftreten im Raum, der Lebensverlauf, die Hobbys u.v.m. bis zur Definition des Selbst. Trotzdem ist uns diese Cisness unbekannt.«
M. Stobbe, S. 40/41

Cis – was heißt das eigentlich?

Das Adjektiv cis, macht eine Norm sichtbar, die sonst unsichtbar bleibt. Es hilft dabei, oftmals unhinterfragte Annahmen zu Geschlechtsidentität und Körper aussprechbar zu machen. Auch dieser Begriff ist umstritten, aber als Einstieg reicht es zu verstehen, dass die Beschreibung „cis“ wörtlich zu übersetzen ist mit „auf dieser Seite, diesseits, innerhalb“ und  Menschen beschreibt, die sich grundsätzlich nicht als trans* oder nicht-binär definieren. Das Adjektiv beschreibt damit auch eine Eigenschaft, die in unserer Gesellschaft mit einer privilegierte Position einhergeht: die Übereinstimmung der eigenen Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht, das einem durch die Gesellschaft zugewiesen wird.

Wie macht sich diese unsichtbare Norm bemerkbar?

Wurden Sie schon mal nach ihrem Pronomen gefragt? Mussten sie schon mal Angst haben, eine andere Person könnte ihr Pronomen in Frage stellen oder es einfach ignorieren? Können sie ohne Bedenken auf eine öffentliche Toilette gehen? Gehen sie sorglos in die Stadt um Kleidung einzukaufen? Können sie einfach so in die Sauna oder das Schwimmbad gehen, ohne zu befürchten, dass sie eine andere Person in den „richtigen“ Bereich schickt?
Es geht bei dem Nachdenken über die eigenen Privilegien hier nicht darum, dass cis Menschen in keiner der beschriebenen Situationen Schwierigkeiten erleben können. Vielmehr geht es darum zu erkennen, dass diese Situationen nicht dadurch entstehen, oder erschwert werden, dass eine Person cisgeschlechtlich ist.

Ähnlich wie bei der kritischen Weißseinsforschung (Critical Whiteness) geht es bei kritischem cis-Sein um die Auseinandersetzung mit den Normen einer binären Geschlechterordnung. Also der Annahme, dass es zwei eindeutige Geschlechter gibt und dass man zwischen diesen auch nicht wechseln kann.

Kritisches cis-Sein ist also eine persönliche wie strukturelle Auseinandersetzung mit internalisierten Normen und cis- und heteronormativen Gesellschaftsverhältnissen.


»Auch wenn nicht alle Situationen gesehen werden (können), so signalisiert eine Sensibilität Bereitschaft Ungerechtigkeiten zu beheben und kann Betroffene von Diskriminierung animieren diese anzusprechen.« (39)

Kritisches cis-Sein in der Praxis

Es geht darum, eine Wahrnehmung und ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie wir in diese unsichtbare Norm verwickelt sind und was das für Auswirkungen auf unser Gegenüber hat. Eine veränderte Selbst- und Fremdwahrnehmung ermöglicht Diskriminierungssituationen und Verhältnisse zu erkennen, zu reflektieren und einzugreifen. Sobald diese Prozesse stattfinden können, erfahren sie im besten Fall eine Unterbrechung, denn sie sind ja nicht länger unsichtbar.  Aus einer Praxis des kritischen cis-Seins kann also ein diskriminierungsfreier Handlungsraum entstehen.